Burgholzhausen-info/ Oktober 21, 2024

Der Houiller Platz ist am Sonntagnachmittag übersät mit Menschen. Mit der Teilnahme an der friedlichen Kundgebung für „Demokratie und Vielfalt“ reagieren sie auf den Vorfall bei der Zeltkerb in Burgholzhausen. Über 500 Menschen kamen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar – Ein Satz, der bei der „Kundgebung für Demokratie und Vielfalt“ am Houiller Platz am vergangenen Sonntag immer wieder bei den Rednerinnen und Rednern hervorgehoben wurde. Jede Rede war auch ein Plädoyer für Offenheit, für friedliches Miteinander und eine Aufforderung Hasstiraden gegen Ausländer in Deutschland ernst zu nehmen, nicht zu tolerieren, sensibel zu reagieren und selber aktiv zu werden.

Aufgerufen hatte ein Aktionsbündnis bestehend aus Vertretern von KuLer Treff, Mein Houiller Platz, Katholischer Kirchenverband Bad Homburg-Friedrichsdorf und dem Caritasverband Taunus, um zusammenzukommen und ausländerfeindlichen Hassparolen in Friedrichsdorf entgegenzuwirken. Birgit Merklein, Stefano Fadda und Ricarda Nappo hatten kurzfristig zu der friedlichen Kundgebung aufgerufen. Der Houiller Platz füllte sich eine halbe Stunde vor Beginn gegen 14.00 Uhr mehr und mehr. Die Vorhut machte eine Gruppe von rund 30 Menschen, die von Burgholzhausen aus gemeinsam gelaufen kamen, um eine sichtbare Brücke nach Friedrichsdorf zu schlagen. „Es hätten 300 sein müssen“, bemerkte ein Teilnehmer. Schließlich war der Vorfall bei der Holzhäuser Zeltkerb, wo „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ auf einen Party-Hit von einer unbestätigten Anzahl von Besuchern gesungen wurden, der Auslöser und Anlass für diese Kundgebung. Doch viele Burgholzhäuser waren direkt zum Houiller Platz gekommen.

Eine Fußgruppe kam gemeinsam aus Burgholzhausen, um eine Brücke zur Veranstaltung am Houiller Platz zu schlagen.

Birgit Merklein, Geschäftsführerin vom KuLer Treff, eröffnete sie mit dem lauten Ruf „Friedrichsdorf ist bunt.“ Es war ein Aufruf, dass Platz ist für alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierungen. Stefano Fadda, selbst Ausländer in zweiter Generation, betonte, dass es bei der Veranstaltung keine Diskussion um den Vorfall direkt geben würde. In Friedrichsdorf gelte unverrückbar Null Toleranz gegen Fremdenhass. „Wir respektieren Menschenrechte und heißen die Vielfalt willkommen.“

Bürgermeister Lars Keitel sieht Friedrichsdorf als offene Gemeinschaft „Wir müssen dafür sorgen, dass es so bleibt.“

Lars Keitel, Bürgermeister der Stadt Friedrichsdorf, die es gar nicht geben würde, wenn der Landgraf Friedrich nicht auch die Chancen erkannt hätte, die die Hugenotten als Ausländer für den hessischen Landstrich brachten. Wir verstehen das, wenn der „Friedrichsdorfer mit dem Portemonnaie in der Tasche über das Trottoir in Garniers Keller geht“. Verbunden waren Keitels Worte mit einer Empfehlung, die gerade eröffnete internationale Wanderausstellung im Rathaus über den Hugenotten- und Waldenserpfad zu besuchen. Sich mischende Kulturen können sehr wohl eine Bereicherung sein, wie man nicht nur am Beispiel der Kartoffel in der Ausstellung lernen kann. Keitel sprach sich klar dafür aus, dass ausländerfeindliche Parolen in unserer Stadt keinerlei Platz haben. „Wer so was ruft, handelt gegen das friedliche Miteinander in unserer Stadt. Wir alle müssen gemeinsam was tun, aufstehen.“ Keitel wünscht sich, dass wir miteinander im Gespräch bleiben, überall, wo wir uns begegnen. Er sieht Friedrichsdorf als offene Gemeinschaft. „Wir müssen dafür sorgen, dass es so bleibt.“

Regine Trenkle-Freund, Arbeitskreis Asyl Friedrichsdorf

Regine Trenkle-Freund vom Arbeitskreis Asyl fand sehr klare Worte „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen. Rassismus ist keine Meinung, Rassismus ist ein Verbrechen.“ Sie betonte: „Wenn Grenzen überschritten werden, ist Zivilcourage vonnöten.“ Sie sprach aber auch von den Lehren, die die Friedrichsdorfer Vereine und Parteien aus dem Vorfall ziehen sollten und forderte, eine Verankerung der Menschenrechte in den Satzungen der Vereine. „Toleranz darf nicht nur eingefordert werden, sondern muss gelebt werden.“

Staatssekretärin Katrin Hechler machte es Mut, dass so viele Menschen zur Kundgebung kamen.

Katrin Hechler, seit Jahresbeginn Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend, Soziales, kam direkt aus der Paulskirche in Frankfurt von der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandel nach Friedrichsdorf. Die Paulskirche ist die Geburtsstätte des Deutschen Grundgesetzes, in dem die Würde des Menschen fest verankert ist. „Dass Sie alle hier sind und als Gesellschaft zusammenstehen, das ist das, was Mut macht, was für Vielfalt und Demokratie steht.“ Hechler setzte sich mit den „pauschalierten“ Statements auseinander, wo Menschen häufig gar nicht den „integrierten Nachbarn“ meinten, wenn sie auf Ausländer schimpfen. Auch sie forderte die Besucher am Houiller Platz auf „Gehen Sie in den Dialog mit den Menschen vor Ort, denn nur dann sehen wir, was genau passiert ist.“ Und weiter, „Die Demokratie lebt vom Ringen und Diskutieren.“ Unsere Gesellschaft lebt und braucht die Vielfalt, ob in den Pflegeberufen, bei den Busfahrern oder anderen Berufen.

Für Gerhard Weisbrich, Vorsitzender des Pfarrgemeinderates St. Marien Bad Homburg – Friedrichsdorf, erlaubt eine Weltkirche keinerlei Platz zur Ausgrenzung.

Gaby Golinski-Wöhler, Vorsitzende der Evangelischen Kirche Friedrichsdorf, erinnerte an Texte aus dem Evangelium.

Fast wie Friedenstauben wirkten die beiden turtelnden Vögel in der Platane am Houiller Platz während der Veranstaltung.

Alexander Wagner als Repräsentant des DGB will sich nicht anmaßen, das Ereignis in Burgholzhausen zu bewerten, versucht es mit einem Blick nach vorne und stellt die Aufarbeitung durch die Menschen hier vor Ort in den Vordergrund. Dabei meint er jedoch nicht spezifisch den Kerbeverein Burgholzhausen, sondern viel mehr die Menschen in den Betrieben und Unternehmen, die rassistische Vorfälle im Arbeitsalltag miterleben. Wagner ruft auf zum aktiven Einschreiten. „Holt Euch Hilfe, wo nötig, lasst Euch nichts gefallen.“ Aber auch Eltern und Lehrer ermuntert er, mit den eigenen Kindern offen ins Gespräch zu gehen, wenn etwas Richtung Hass und Hetze geht und dem entschieden entgegenzutreten.“

Aufmerksames Publikum auf dem gut gefüllten Houiller Platz

Birgit Merklein verlas ein gemeinsames Statement aller Friedrichsdorfer Parteien, deren Vertreter dazu zum Sprecherpult kamen, bevor sie einen unerwarteten Gast auf die Bühne bat. Der Lichttechniker Patrick Reitz, der den Vorfall bei der Zeltkerb in den Medien publik machte und selbst einen Migrationshintergrund hat, hielt unter Applaus die letzte Ansprache. Seinen Mut aufzumerken, war von mehreren der Redner und Rednerinnen zuvor betont worden. Patrick berichtete von Anfeindungen gegen seine Person seit der Veröffentlichung und rief zu einem aktiven Kampf gegen jeden Rassismus-Ansatz auf. Auch bat er, dass weiteres Videomaterial von der Zeltkerb in Burgholzhausen gesucht werde und bittet, es dringend der Polizei zur Verfügung zu stellen.

Lichttechniker Patrick Reitz stellte Videos von gegrölten ausländerfeindlichen Parolen zu einem Partylied ins Netz und sprach sich für aktiven Einsatz gegen Rassismus aus.

Eine Veranstaltung, deren Beiträge zum Nachdenken anregte, zu der Familien kamen, junge Menschen aufmerksam zuhörten, aber bei der auch die ältere Generation stark vertreten war. Viele hatten Plakate für die Demokratie mitgebracht. Aus Oberursel, bekanntermaßen Gründungszelle der AFD, kam extra die Gruppe „Omas gegen rechts“, um der Wichtigkeit Ausdruck zu verleihen, regelmäßig gegen rechte Tendenzen zu wirken. Der TV Seulberg „verein(t) in Bewegung“ auf einem Plakat und macht sich stark für Vielfalt und ein gemeinsames Angehen gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Ein Ort gerät durch ein 3,5 minütiges Partylied in Verruf.

Ja, und da war noch das Schild aus Burgholzhausen „Burgholzhausen hat Herz für alle“ und die Menschen, die den gleichlautenden Anstecker sichtbar trugen, um sich gegen Hetze und für gegenseitigen Respekt auszusprechen. Aus vielen Gesprächen und Diskussionen hörte man heraus, dass der noch nicht endgültig geklärte Vorfall viel Raum für Spekulationen lässt und dass eine schnelle Aufklärung durch die Polizei gewünscht wird. Das Entsetzen, das durch einen solchen Vorfall im eigenen Ort entstanden ist, berührt sichtlich und bringt die Menschen dazu Antworten zu suchen und sich gegen rechte Strömungen auszusprechen. Die Menschen in Burgholzhausen wehren sich, genauso wie der Kerbeverein, gegen eine pauschale Verurteilung und möchten sich nicht in eine „braune Ecke“ drängen lassen. Die Kundgebung am Houiller Platz hat einige Wege aufgezeigt und ins Bewusstsein gerufen, wie das möglich sein kann und klar sichtbar gemacht, dass die Friedrichsdorfer für Vielfalt und Demokratie stehen. (SN)

Aktualisierung: 22.10.24 8.00 h